Es ist noch relativ früh an diesem Mittwoch. Ich bin verabredet mit Viktoria, die vermutlich jeder kennt, der schon mal im Bikini-Haus unterwegs war. Also nicht persönlich, sondern in Form von schön illustrierten Buchstaben und Gegenständen: sozusagen liebevoll handgeschriebene Tafeln als Gegenentwurf zur rasanten Digitalisierung von jedem noch so kleinem Lebensbereich. [BREAK]
Viktoria studierte in Nürnberg an der Technischen Hochschule Georg Simon Ohm Kommunikationsdesign und Illustration, wie sie mich wissen lässt. Schon immer habe sie Typographie interessiert, da bei der Gestaltung von Buchstaben so viel möglich sei, fährt sie fort. Das Dekorative sowie Informative findet sie an der Illustration gut. Anders als bei der Kunst, wo meist die Selbstreferenzialität im Mittelpunkt steht.
Wir stehen beide vor einer schwarzen Tafel. Viktoria holt einen weißen breiten Marker außer ihrem durchsichtigen Mäppchen und zieht langsam und konzentriert die ersten Striche auf der Tafel. Nach und nach entsteht einer dieser typischen Schriftzüge, die das Gesamtbild der Bikini Berlin Mall mitprägen. „Funk You“ steht auf der Tafel, welches der Name eines Bistros in der Mall ist.
Auf die Frage hin, ob sie ihre typographische Arbeit als Kunst bezeichnet, schüttelt Viktoria nur mit dem Kopf und dreht die Tafel, um die Rückseite zu gestalten. Hier ein Strich, da ein Strich. Was beim Vorbeigehen einfach aussieht, bedarf einiges an Konzentration, so Viktoria.
Bis zu sechs Stunden ist sie manchmal in der Mall unterwegs, um neben den erwähnten Tafeln auch Schaufenster und Rolltreppen zu verschönern oder auszubessern, weil mal wieder ein Gast mit seiner flachen Hand über die Tafel gewischt hat.
Was sie am meisten an ihrem Job liebe, sei vor allem die Freiheit und die Möglichkeit neben kommerziellen Aufträgen auch freie gestalterische Arbeiten zu machen. Goethe war der Meinung, „Schreiben ist geschäftiger Müßiggang (...)“. Während ich Viktoria dabei zusehe, wie sie mit ihrem weißen Marker über eine weitere unbeschrieben Tafel fährt, denke ich, dass Goethe Recht hatte.